Künstler und Corona
Diese außergewöhnliche Situation betrifft – mit wenigen glücklichen Ausnahmen – fast alle freiberuflichen Sänger. „Augen auf bei der Berufswahl“ mag nun der ein oder andere denken, aber so einfach ist es nicht. Warum man diesen Beruf ergreift kann nur der verstehen, der ihn ausübt. Wir alle wurden nämlich mehr oder weniger früh vom Theatervirus infiziert. Und diesen wird man leider nie mehr los und so legen wir uns Abend für Abend ins Zeug für unser Publikum, scheuen weder Mühen noch Müdigkeit, sondern geben all unsere Kraft und unseren Einsatz, um Menschen für 2-3 Stunden zu unterhalten, denn darin liegt ja so ziemlich der einzige Sinn unseres Berufs: Menschen aus ihrem nicht immer rosigen und stressigen Alltag in eine andere Welt zu entführen. Emotionen zu zeigen, die rühren, berühren. Mit unserer Stimme, mit vollstem Körpereinsatz. Dass Sportler Disziplin haben, weiß jeder, aber wer kennt schon unseren Tagesablauf? Die 8 Stunden Proben täglich am Theater, wenn keine Vorstellung ist. 7 Tage Wochen sind nicht selten, die 40 Stunden Woche gibt es fast nie. Zwischendurch müssen ja noch Text gelernt, Töne geübt, die Stimme trainiert werden, die vielseitig bleiben soll und meist sehr beansprucht wird. Unser Lachen auf der Bühne soll ansteckend sein. Jedes Mal. Das ist harte Arbeit. Das erfordert viel Zeit. Ach ja: die Unplanbarkeit der Probendisposition macht den Alltag nicht einfacher. Wer erst um 14:00 weiß, ob er am nächsten Tag Termine wahrnehmen kann, wird schnell vergessen, stößt oft auf Unverständnis. Meist bleiben als Freunde nur die, die diesen Job eben verstehen. „Am Wochenende musst Du ja arbeiten?“ Ja, genau. An Feiertagen übrigens auch. Auch eine Art von social distancing? Egal, wir hinterfragen das nicht. Weil wir unseren Beruf lieben.
Nun zur Frage, warum die Wenigsten von uns Rücklagen bilden konnten. Ein trauriger Aspekt dieses ach so schönen „Du hast ja dein Hobby zum Beruf gemacht“. Das hat nicht etwa mit unserer verplant-chaotischen Künstlerseele zu tun, sondern liegt in der Natur der Sache. Wer Musik studiert und nach ca. 5 Jahren seinen Abschluss erwirkt, kann nicht automatisch davon ausgehen, dass ihm sämtliche Theaterpforten offenstehen. Klappt es dennoch – und die Konkurrenz ist groß – dann meist mit einem Einstiegsgehalt von 2000,- € brutto. Das wird später etwas mehr, aber für einen akademischen Beruf bleibt das Gehalt eher bescheiden. Wer nun das große Glück hat, als Gast an Opernhäuser verpflichtet zu werden, verdient oft genau so viel für eine Vorstellung, wie Kollegen des festen Ensembles im ganzen Monat. Gerechtigkeit gibt es nicht am Theater – der weise Spruch eines älteren Kollegen. Doch wenn die Vorstellungen abgesagt werden, bekommen die Gäste in der Regel nichts. Da der Solovertrag höhere Gewalt als Berufsrisiko einschließt und somit keine Verpflichtung für Ersatz seitens der Theater besteht. Versicherungen? Fehlanzeige. Die Beiträge sind viel zu hoch, da Opernsänger zur selben Risikogruppe zählen wie Rennfahrer. Aha.
Und trotzdem sind wir noch immer froh, diesen Beruf ausüben zu dürfen, wenn auch in Zeiten wie dieser viele von uns eine Existenzangst packt, die unsere künstlerische Kreativität sehr einschränkt.
„Des Künstlers Brot ist der Applaus“. Das wissen wir. Und jetzt?